Umzug

Anonymous crowd walking on a street in New York

An meine zahlreichen Follower 😉

In diesem Blog sollte es ursprünglich ja nur um meine Romantrilogie gehen. Dann kamen Predigten dazu, angehängt an das Stichwort “Gott”. Aber irgendwie passt das doch nicht so 100%-ig. Deswegen habe ich jetzt einen neuen Blog mit dem Titel Großstadtpredigten angelegt. Darauf kommen dann nur noch Predigten und gelegentlich andere theologische oder spirituelle Betrachtungen. Wer sich dafür interessiert – bitte gern abonnieren!

Die Predigten, die ich hier veröffentlicht habe, werde ich nach und nach umziehen auf die Großstadtpredigten und dann hier löschen. Erscheint mir sinnvoller.

Brot des Lebens

Vorbemerkung

Nach dem Gottesdienst werde ich immer wieder einmal gefragt, ob ich die Predigt zum Nachlesen zur Verfügung stellen kann. Meistens notiere ich mir dass die E-Mail-Adresse der/s Fragenden. Aber warum sollte ich sie nicht auch einem größeren Keis (dem riesigen Kreis 😉 meiner Follower zum Beispiel) zur Verfügung stellen? Also, hiermit beginnt eine neue Kategorie meines Blogs: Predigten. Sozusagen als Beitrag zum Thema “Gott”.

 

Joh 6, 30 – 35

Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.« Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Liebe Gemeinde,

Ich bin das Brot des Lebens. Und vorhin, als Evangelium, die Geschichte von der Speisung der Fünftausend. Das sind Texte, die klassischerweise aufs Abendmahl hin gedeutet werden. Nun steht auf dem Altar aber kein Abendmahlsgeschirr und es ist auch kein Abendmahlsgottesdienst angekündigt. War das nun ein Versehen, oder ist das nur eine seltsame Kapriole, die sich aus der Kombination des allgemein gültigen liturgischen Kalenders mit der Gottesdienstplanung von St. Markus in München ergeben hat?

Natürlich steht genau das dahinter. Aber wir Menschen haben ja immer das Bedürfnis, das, was uns begegnet, mit Sinn aufzuladen. Deswegen habe ich nach einer Erklärung gesucht, die dem Zufall einen Sinn einhaucht, und, o Wunder, es ist mir gelungen. Das Abendmahl ist ja ein Ritual, und ein Ritual erklären und ein Ritual vollziehen, das sind zwei grundverschiedene Dinge. Also will ich heute über das Abendmahl reden, und ein andermal werden wir es wieder gemeinsam feiern, und das ist gut so. Basst scho, wie der Bayer sagt.

Also, das Abendmahl. Es ist ein Sakrament, eins von zwei Sakramenten, die die evangelische Kirche kennt. Und was ist ein Sakrament? Die Lehrbuchantwort lautet: Ein Sakrament ist eine Handlung, für die es a) einen Auftrag von Jesus selbst gibt, im Neuen Testament überliefert, und b) ein äußeres, materielles Zeichen. Beides ist gegeben – der Auftrag von Jesus: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, und das materielle Zeichen: Brot und Kelch samt Inhalt.

Aber das erklärt noch gar nichts. Also noch mal von vorn.

In dem Wort „Sakrament“ steckt das lateinische Wort „sacer“, das im Deutschen mit „heilig“ wiedergegeben wird. Also eine heilige Handlung.

Und jetzt wird’s spanend. Was heißt das denn, eine heilige Handlung? Ist das etwas, was uns über den Alltag hinaushebt in himmlische Sphären, etwas, das uns gewissermaßen entrückt? Etwas, das uns Gott näher bringt?

Nein, nein, nein.

Wir können Gott gar nicht nähergebracht werden als wir es ohnehin schon sind. Wir müssen Gott nicht näherkommen, denn Gott ist uns schon nahe, so nahe wie nichts und niemand sonst. Näher als wir uns selbst sind. Gott ist immer in und bei uns. Und wie oft bin ich selbst in und bei mir? Die meiste Zeit bin ich doch gar nicht bei mir selbst. Ich bin irgendwo, in der Zukunft oder in der Vergangenheit, aber nicht hier, bei mir. Nur Gott, der ist schon immer da, hier bei mir, in mir, hier auf der Erde.

Denn Jesus hat Gott auf die Erde gebracht. Oder besser: In ihm wurde ganz deutlich, dass Gott nicht in himmlischen Sphären schwebt, abgehoben von dem irdischen Getümmel. Gott ist dabei. Immanuel – das ist Hebräisch und heißt: Gott ist bei uns. Und das ist die tiefste Wahrheit unseres Glaubens. Wir müssen Gott nicht näher kommen, wir können es gar nicht, denn Gott ist schon immer hier.

Etwas davon höre ich auch in dem Abschnitt, der heute als Predigttext vorgegeben ist. „Dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt.“ Es bleibt nicht dort droben, es kommt vom Himmel herab. Und damit macht das Brot Gottes genau das, was Gott auch macht. Und das Brot des Lebens, Jesus, macht dasselbe.

Sicher kennen Sie das Märchen vom Fischer un siner Fru. Die ist mit nichts zufrieden, sie will immer mehr. Am Ende will sie sein wie Gott. Und, pardauz!, sitzt sie wieder in ihrem Pissputt, in ihrer schäbigen Hütte. Früher dachte ich immer, das sei eine Strafe für die Hybris, den Hochmut und die Anmaßung der Frau. Aber nein, es ihr Wunsch ist ihr wörtlich erfüllt worden. Denn Gott ist nicht in einem prächtigen Palast, prächtiger als der des Kaisers und des Papstes zusammen. Gott wohnt unter uns, in unserem erbärmlichen Pissputt.

Und dafür steht die Person Jesus Christus. Wir Christen gauben, dass in ihm Gott auf die Erde gekommen ist. Am Anfang des Johannesevangeliums stehen die bekannten Worte: Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. Genau. Das ist die Inkarnation, die In-Carnatio, die Ein-Fleischung. Jesus ist einer wie wir, ein Mensch durch und durch. Wahrer Mensch, sagt das Nizänische Glaubensbekenntnis. Und gleichzeitig – gleichzeitig! – ist Jesus Christus wahrer Gott. Er nennt Gott seinen Vater und er ermutigt uns, ebenfalls Vater zu sagen zu Gott. Wir tun das in jedem Gottesdienst, mindestens. Wir sind Gottes Kinder, genauso wie Jesus Gottes Sohn war und ist. Denn die Inkarnation, die beschränkt sich nicht auf diese dreißig Jahre, in denen der historische Mensch Jesus aus Nazareth über die Erde ging. In Jesus Christus, der zweiten Person des dreieinigen Gottes, ist die menschliche Natur, das menschliche Wesen, in Gott aufgehoben, so sagt es die altkirchliche Tradition seit dem vierten Jahrhundert. Und am menschlichen Wesen, an der menschlichen Natur, haben wir alle Anteil, einfach weil wir Menschen sind. So sind auch wir unserem Wesen nach aufgehoben in Gott.

Ich springe wieder zurück zum Thema Abendmahl. Der christliche Glaube besagt ja, dass uns in dieser Handlung, in diesem Sakrament, Jesus selbst begegnet. Aber auch hier müssen wir aufpassen, dass wir Jesus und seine Nähe nicht reduzieren auf diese heilige Handlung. Wir dürfen ihn nicht gewissermaßen einsperren in diese Hostie und dieses Schlückchen Wein oder Saft alle vierzehn Tage am Sonntag. Jesus sagt: Solches tut, sooft ihr’s trinket, zu meinem Gedächtnis. Ich verstehe das so: Jedes Mal, wenn wir essen und trinken, jedes Mal, wenn wir gemeinsam zusammensitzen, dann ist er anwesend. Wir dürfen ihn nicht aussperren aus unserem Alltag in diese eine Stunde am Sonntagvormittag und in dieses Ritual. Gott lässt sich nicht aussperren aus unserem Leben und er lässt sich nicht einsperren in einen Tabernakel, einen heiligen Schrank. Deswegen hat Martin Luther den Tabernakel abgeschafft – er sagte sehr richtig: Christus ist nicht in der Hostie drin, er kommt zu uns, wenn wir im Glauben an sein Wort in der Gemeinschaft der Gläubigen das Brot essen. Also, die Hostie an sich ist nichts weiter als ein Stückchen ungesäuertes Brot. Nichts von heilig, wenn nicht alles heilig ist.

In einem Seminar, in dem es ums Abendmahl ging, da habe ich das einmal besonders deutlich erfahren. Wir sprachen nicht nur über das Abendmahl, wir feierten es auch. Wir saßen im Kreis, etwa fünfzehn oder zwanzig Leute, und dann nahm der Leiter das Brot (manche wissen schon, was jetzt kommt). Und während er sagte: Das ist mein Leib, machte er eine ausladende Geste. Das ist mein Leib, ihr alle, die ihr hier im Kreis beieinander sitzt, ihr seid der Leib Christi. Ihr seid es, durch die Christus in die Welt kommt, heute. Ihr seid es, wir sind es, die Gott ins Leben bringen. Wenn wir es nicht tun, wer soll es dann tun?

Und noch etwas. Jesus sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Das meint er durchaus auch wörtlich. Es ist sicher kein Zufall, dass in demselben Kapitel, in dem dieses Wort überliefert wird, am Anfang von der Speisung der fünftausend erzählt wird. Jesus macht die Menschen satt, buchstäblich. Es will nicht, dass sie hungern. Er will nicht, dass irgendjemand hungert. Deswegen haben die Christen von allem Anfang an Armenspeisungen vorgenommen. Sie haben buchstäblich hungrigen Menschen zu essen gegeben, und das ist bis heute so. In der Münchner Insel haben wir ein Liste von Stellen, wo man in München kostenloses Essen bekommen kann, und da stehen fast ausschließlich Klöster und kirchliche Einrichtungen drauf. Das ist kein Zufall, sondern gehört zu den Kernaufgaben der Christen. Und glücklicherweise entdecken manche evangelische Kirchen diese Aufgabe auch wieder, indem sie sich als Vesperkirchen verstehen und hungrigen Menschen Essen servieren.

Auch das Abendmahl war ursprünglich ja nicht dieses im wörtlichen Sinn abgespeckte Ritual. Zu Zeiten des Paulus, da kam die Gemeinde abends zusammen und jeder, der konnte, brachte etwas zu essen mit. Dann wurde das Essen geteilt und wer nichts mitbringen konnte, bekam von den anderen, die mehr hatten. Leider hat das schon damals nicht reibungslos funktioniert. Paulus schimpft die Korinther in einem seiner Briefe, dass die Reichen, die nichts zu tun haben, früh am Abend zusammenkommen und spachteln. Und wenn dann die Hafenarbeiter, die bis spät schuften müssen, verschwitzt und hungrig ankommen, ist nichts mehr übrig außer dem rituellen Brotstückchen und dem Schlückchen aus dem Kelch. So nicht, sagt Paulus. Das ist nicht im Sinn von Jesus. Es kommt nicht darauf an, liturgisch korrekt ein heiliges Ritual zu begehen. Es kommt darauf an, zu teilen. Sonst können wir uns das Ritual auch sparen. Ja, so gesehen ist es gut, dass wir heute übers Abendmahl sprechen und es nicht feiern. Da können wir uns noch mal gut überlegen, was außer der liturgischen Handlung eigentlich dazugehört.

Und trotzdem finde ich, es ist wichtig, dass wir das Abendmahl auch feiern. Dass wir dieses Ritual begehen, zu einer festgelegten Zeit nach einem festen Ablaufplan mit festgelegten Worten und Gesten. Denn recht verstanden, kann so ein Ritual wie ein Konzentrat sein, das dann im Alltag verdünnt erst richtig genießbar wird. So wie ein Sirup. Von einem Sirup kann man auch nur einen wönzigen Schlock zu sich nehmen. Erst wenn er 1 : 10 mit Wasser verdünnt wird, wird der Himbeersirup zum Skiwasser. So ist es mit dem Abendmahl und mit allen Ritualen, die wir hier in der Kirche begehen. Wirksam, hilfreich, sättigend und Durst löschend werden sie erst dann, wenn sie im Alltag, verdünnt, eingesetzt werden. Und trotzdem brauchen wir das Konzentrat immer wieder. Um uns zu vergewissern. Um uns erinnern zu lassen. Zum Beispiel daran, dass das Brot des Lebens nicht eine himmlische Seelenspeise ist, sondern das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, um echte Menschen zu sättigen. Dann erst, wenn wir uns daran beteiligen, dass hungrige Menschen satt werden, dann erst können wir richtig Abendmahl feiern.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne und unseren hungrigen Körper in Christus Jesus, dem Brot des Lebens, das vom Himmel herabgekommen ist.

Amen.

 

30. Juli 2017, St. Markus München

& Gott…?

Weshalb Gott im Titel steht, aber im Text nicht so häufig vorkommt…

Rezensentin „Nischi“ (bürgerlich: Nicole Schultz) hat in ihrer sehr schönen und ausführlichen Rezension meiner Trilogie angemerkt: „Die beiden anderen Themen (Gott und Rock’n’Roll, TH) hätten dagegen ruhig noch etwas mehr zum Zug kommen können. Das Thema Spiritualität bleibt inhaltlich teilweise etwas vage.“

Dem kann ich nur zustimmen. Und deswegen nehme ich die Rezension zum Anlass, hier kurz zu erzählen, wie es zu dem Titel kam und weshalb dann doch relativ wenig „Gott“ in dem Buch vorkommt.

Zum Titel: Es gibt einen Vorläufer zur Trilogie, einen Roman, den ich nicht veröffentlicht habe und auch nicht veröffentlichen werde, weil ich mich damit sozusagen erst „warmgeschrieben“ habe. Ich habe da manches ausprobiert und vor allem meinen Stil entwickelt – spätere Literaturwissenschaftler, die mein Oeuvre erforschen, werden vermutlich feststellen können, wie sich im Lauf der Kapitel mein Stil schärft, zuspitzt und – ich glaube – besser wird. Dieser Roman hatte den Arbeitstitel „Gott und die Frauen“, weil der männliche Protagonist einmal feststellt, dass es in seinem Leben eigentlich nur zwei wichtige Themen gibt: eben Gott und die Frauen. Der Roman enthält auch einige theologische Dialoge – ich wollte mal ausprobieren, ob das funktioniert. Aber die langen Dialoge nehmen dem Ganzen doch viel von dem Tempo, das ein Buch erst spannend macht. Und er enthält einige erotische Szenen, die sehr viel expliziter geschrieben sind als die in der Trilogie – im Rückblick würde ich fast sagen: etwas plump. Das brachte meinen alten Freund Hans, einen meiner „Beta-Leser“, zu dem Ausspruch: „Das Buch müsste nicht ‚Gott und die Frauen‘ heißen, sondern ‚Sex und Gott‘.“

Und von da war es nur ein winziger Schritt zu Sex & Gott & Rock’n’Roll.

Den Titel fand ich einfach so gut, dass ich ihn für den nächsten Roman aufgehoben habe, eben für die Trilogie. Und im ursprünglichen Exposé war auch das Thema „Gott“ auch viel präsenter. Die ursprüngliche Idee war, von zwei Menschen zu schreiben, die einander im Leben immer wieder begegnen und die gegensätzliche und doch irgendwie parallele spirituelle Entwicklungen durchlaufen. Ich hatte wirklich zwei spirituelle Biografien geplant. Dann aber hat die Liebesgeschichte überhandgenommen und viel mehr Platz beansprucht als vorgesehen. So geht es eben, wenn man mit lebendigen Figuren umgeht.

Johnny hatte in der ursprünglichen Version seine Gabi auf der Pfingstfreizeit einer charismatischen Gemeinde kennengelernt, sich klassisch bekehrt und in Gabis Freikirche mitgemacht. Doch dann wird Gabi immer fundamentalistischer und verrückter, schließlich wird Johnnys Freund Tobias, der in dieser Version ebenfalls der Gemeinde angehört, wegen seines Schwulseins aus der Gemeinde ausgeschlossen. Aufgrund dieser Entwicklungen sagt sich Johnny von der Gemeinde und damit auch vom evangelikalen/charismatischen Glauben los.

Dann aber, so der Plan, sollte sich sein Gottesbild erweitern und er würde zu einem a-personalen und a-theistischen Gott finden, also sozusagen ein gelb/türkises Gottesbild entwickeln. Und Jeannie wollte ich eine deutlich intensivere spirituelle Praxis geben, mit tiefen Meditationserfahrungen bis hin zur „Zen-Krankheit“ und wieder zurück… Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass das Buch dann mindestens fünf Bände umfassen würde. Und ich beschloss, es bei der Liebesgeschichte zu belassen, nur Jeannie durfte ihren Bhagwan-Trip behalten. Ich habe ungefähr hundert Seiten rausgeschmissen, die von Johnnys religiösen Erfahrungen handelten, und habe ihn einfach zum Agnostiker erklärt. Ein kleines Überbleibsel seiner ursprünglich geplanten religiösen Einstellung ist das Kennenlern-Gespräch zwischen Jeannie und Johnny beim Schützenfest, wo Johnny sich durchaus noch religiös interessiert zeigt.

Aber das Thema ist nicht verloren. Ich sitze seit geraumer Zeit schon am nächsten Projekt, in dem Jeannies Zwillingsschwester Theresa die Hauptrolle spielt. Sie bekommt eine intensive geistliche Berg- und Talfahrt verpasst. Der Plan sieht weiterhin vor, dass es auch eine männliche Hauptperson namens Chris gibt, die ebenfalls eine intensive religiöse Geschichte hat, hier kommt dann doch noch das charismatische Element zum Tragen – aber diese Geschichte wird dann ausführlich erst im übernächsten Roman erzählt, in der Chris dann im Mittelpunkt steht.

Der Theresa-Roman wird wohl „Phantomschmerz“ heißen und in, sagen wir mal, einem Jahr fertig sein. Vielleicht auch etwas eher. „Nischis“ Wunsch nach mehr Romanen aus meiner Feder bzw. Tastatur wird also wohl in Erfüllung gehen. Nur noch ein bisschen Geduld…

 

Once upon a time in the East

Eine Frage, die mir auch schon des Öfteren gestellt wurde: „Warst du denn in Poona?“

Die Antwort: Nein, war ich nicht. Damals, als so viele junge und nicht ganz so junge Intellektuelle aus Deutschland zu Bhagwan gingen, habe ich brav Theologie studiert. Bhagwan (wie er sich damals noch nannte) stand für mich in einer Reihe mit Scientology und der Moon-Sekte, gehörte also zu den sogenannten Jugendsekten. Heute weiß ich, dass diese Einordnung Quatsch ist, aber damals wurde es so dargestellt. Erst als ich dann schon Gemeindepfarrer war, lernte ich ein paar Sannyasins persönlich kennen. Einmal geriet ich beim Versuch, ein neu zugezogenes Gemeindeglied zu besuchen, in eine der Sannyas-WGs in der Klenzestraße. Die junge Frau hatte wohl als Konfession „evangelisch“ eingetragen, wollte aber vom Pfarrer dann doch nichts wissen. Dafür erklärte sich ein anderer Bewohner der WG bereit, mit mir zu reden, und so bekam ich die ersten Insider-Informationen über Poona und Bhagwan. Dann, im Herbst 1989, veröffentlichte der Claudius-Verlag „Das Enneagramm“ von Richard Rohr und meinem Freund Andreas Ebert. Auf Wunsch von Andreas bot der Verlag „Briefseelsorge“ für Leser/innen an – wer wollte, konnte an den Verlag schreiben, seinen Enneagramm-Typ nennen, und bekam dann eine/n „Seelsorger/in“ desselben Typs zugeordnet. Auf diese Weise kam ich mit Nitya in Kontakt, der sich – wie ich – als Neun verstand. Swami Satyam Nitya aus Hamburg, ehemaliger Windsbacher, jetzt seit vielen Jahren Sannyasin. Wir schrieben uns eine Menge Briefe, in denen ich immer noch apologetisch vorgehen und am liebsten nachweisen wollte, dass Sannyas ein Irrweg ist. Das ist mir natürlich nicht gelungen. Einmal, auf Besuch in Hamburg, habe ich Nitya persönlich kennengelernt, eine Begegnung, die von großer gegenseitiger Sympathie geprägt war und die mich in meiner Abwehrhaltung gegenüber der vermeintlichen Jugendsekte schwankend werden ließ. Ich hatte jedenfalls nicht den Eindruck, in Nitya ein abhängig gemachtes Sektenmitglied vor mir zu haben, im Gegenteil. Er wirkte frei und in sich ruhend. Nitya schickte mir dann auch das Buch, das für Jeannie zur ersten Begegnung mit der Lehre Bhagwans wird: „Tantra, die höchste Einsicht“. Ich habe es damals nicht gelesen, erst viel später habe ich es mir vorgenommen.

Mittlerweile gilt Osho (wie er sich später dann nannte) als ein Meister unter vielen, genauso seriös oder unseriös wie viele andere, mit der Spezialität, die östliche Philosophie für die verkopften Westler zugänglich gemacht zu haben. Ich kann als Pfarrer, ohne mich zu verstecken, seine Bücher „Jesus. Mensch und Meister“ oder „Das Thomasevangelium“ lesen, aber natürlich nicht nur die.

Und ich bin im Lauf der Jahre vielen Ex- oder Noch-Sannyasins begegnet. Die Therapie-Szene ist voll davon. Mit einigen habe ich persönlich gearbeitet oder länger gesprochen. Die meisten bestätigten mir, dass sie in Poona oder durch Bhagwan wesentliche Impulse für ihr Leben erhalten haben, gleichzeitig sahen sie manches (etwa die Oregon-Kommune) ziemlich kritisch. Ich konnte die Neo-Sannyas-Bewegung immer besser akzeptieren als eine der für die Siebzigerjahre typischen Bewegungen.

Wann ich die Idee hatte, dass Jeannie nach Poona geht, weiß ich tatsächlich nicht mehr. Ich glaube, die kam ziemlich früh in den ersten Anfangsstadien des Plots. Dann erst begann ich mich ausführlich über Poona und Osho zu informieren. Na gut, die Dokumentation „Guru“ von Sabine Gisiger und Beat Häner hatte ich vorher auch schon gesehen und natürlich die köstliche Komödie „Sommer in Orange“ von Marcus Rosenmüller. Jetzt aber begann ich zu sammeln. Ich las, was ich in die Finger bekam, ich recherchierte, was ging, holte aus der Bayerischen Staatsbibliothek, was zu holen war, und sammelte insgesamt einen halben Regalmeter Bücher, ältere wie den Klassiker „Ganz entspannt im Hier und Jetzt“ von Jörg Andrees „Satyananda“ Elten oder Neuestes wie „Der Mut, den eigenen Weg zu finden“ von Kirsten Pape, ein 2013 erschienener Sammelband mit Interviews mit Ex- oder Noch-Sannyasins. Dazu habe ich mir auf Youtube angeschaut, was ich finden konnte. So, denke ich, ist mir eine leidlich akzeptable Schilderung der Zustände und der Atmosphäre in Poona gelungen.

Noch habe ich kein Feedback von einem meiner Ex- oder Noch-Sannyasin-Freunde bekommen. Das würde mich natürlich brennend interessieren, was jemand sagt, der damals dort war. Wenn ich ein solches Feedback bekommen sollte, werde ich es alsbald hier kundtun!

 

Zwei oder mehr

Wer steht hinter Jeannie und Johnny? Sind sie realen Figuen nachempfunden oder reine Fantasie? Beides natürlich.

Wer steht hinter Jeannie und Johnny? Dienen reale Menschen als Vorbilder? Die Frage habe ich öfter gehört. Rezensent “Ewald” etwa schreibt auf Amazon von seiner “Phantasie, dass Tilmann Haberer doch für ‘Johnny’ und ‘Jeannie’ mehrere reale Menschen und ihre Geschichten verarbeitet hat”.

Na klar, ist die Antwort. Die Figur der Jeannie ist komponiert aus mehreren Mädchen und Frauen, die ich irgendwann, irgendwo kennengelernt habe. Und dazwischen ist vieles, was keiner realen Person zuzuordnen ist. Jeannie ist also doch eine reine Kunstfigur und es wäre müßig, in oder zwischen den Zeilen nach den realen Vorbildern zu suchen.

Bei Johnny ist es etwas anders. Auch er ist zusammengesetzt aus mehreren Figuren, manche sind reale Personen, denen ich begegnet bin, manche sind Projektionen von inneren Anteilen. Das ist wahrscheinlich bei den allermeisten Autoren so. Zum Beispiel: Wenn ich beschreibe, wie Johnny seinen toten Vater im Krankenhaus sieht, steht dahinter die reale Erfahrung mit meinem Vater, der sehr plötzlich gestorben ist und den ich im Krankenhaus gesehen habe. Wenn ich das Sterben einer anderen Hautperson beschreibe, fließen in diese Beschreibung meine Erfahrungen an Sterbebetten ein ebenso wie Erzählungen, die ich als Pfarrer reichlich mitbekommen habe. Und von Liebe und Herzeleid kann man wohl auch nur schreiben, wenn man sie selbst erlebt hat. Aber die Leadgitarre habe ich nie gespielt, ich habe immer den Bass gezupft.

Die persönlichen Erfahrungen sind also so etwas wie die Farben, die ein Maler aus der Tube auf seine Palette drückt: das Material, als dem dann das Bild geschaffen wird. Im Bild kann der Betrachter erkennen, welche Farben verwendet wurden, aber die Tube, aus der die Farbe kommt, spielt keine Rolle. Und in der Geschichte von Johnny spiegelt sich mitnichten die Geschichte seines Erfinders.

Ich erinnere mich, wie ich als Jugendlicher einmal gelesen habe, dass Mark Twain seinen Huckleberry Finn aus mehreren Jungen zusammengesetzt hat, die er kannte. Damals konnte ich mir das noch gar nicht vorstellen. Wie soll das gehen? Mittlerweile denke ich, es geht nur so. Wenn ich nicht rein autobiografisch schreiben will, wie ich das in “Kirchenfrust und Gotteslust” getan habe, dann muss ich Figuren erfinden. Und die können reine Fantasie sein, aber wenn sie saftig und lebendig rüberkommen sollen, müssen echte Erfahrungen drinstecken. Aber eben nicht so, dass der Leser weiß: Ach, das war doch im September 1978 in Gunzenhausen, sondern dreimal durch den Wolf gedreht, gewürzt und geformt und schießlich von beiden Seiten gut durchgebraten (um noch eine andere Metapher zu bemühen). Und so wird dann hoffentlich eine schmackhafte Sache daraus, bei der die Zutaten nicht mehr rausschmecken, sondern ein komplexes, neues Ganzes entstanden ist.